Was ist das Mikrobiom und warum ist es wichtig?
Zuletzt aktualisiert : 17 June 2021Mikrobiome finden sich überall – in, auf und um uns herum. Als integraler Bestandteil unseres Ernährungssystems sind sie bei fast jedem Schritt der Lebensmittelproduktion präsent. Trotz aller negativen Assoziationen, wie z. B. Fragen der Lebensmittelsicherheit und Erkrankungen, die Menschen oft mit Bakterien und anderen Mikroorganismen in Verbindung bringen, bieten Mikrobiome in Wahrheit viele Vorteile und sind deshalb unerlässlich für nahrhaftes, reichhaltiges und leckeres Essen.
1. Mikrobiom vs. Mikrobiota – was ist der Unterschied?
Mikroorganismen, wie Bakterien, Archaeen, Pilze, Algen oder auch Viren, sind winzige Organismen, die fast überall auf diesem Planeten zu finden sind, von den Gletschern der Antarktis bis in die tiefsten Regionen der Ozeane, und auch quer durch das Ernährungssystem. Bekannt sind sie häufig nur durch die Schäden und Gefahren, die einige von ihnen mit sich bringen können, wie z. B. Lebensmittelvergiftungen, antimikrobielle Resistenzen oder Infektionskrankheiten wie die Schweine- oder Vogelgrippe. Mikroorganismen haben jedoch viele nützliche und positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden, und leisten tiefgreifende und wichtige Dienste für die Umwelt. Eine Ansammlung verschiedener Mikroorganismen, die in einem Lebensraum wie dem menschlichen Darm oder dem Boden zusammenleben, wird als Mikrobiota bezeichnet. Der Begriff Mikrobiom hingegen beschreibt eine Gemeinschaft verschiedener Mikroorganismen, die in einer bestimmten Umgebung angesiedelt ist, und berücksichtigt auch, wie die verschiedenen Mikroorganismen miteinander und mit den sie umgebenden Umweltbedingungen interagieren.1
2. Einsatzgebiete von Mikroorganismen
Mikroorganismen werden für eine Vielzahl von Zwecken und Anwendungen eingesetzt und leisten viele wichtige Dienste:
Gesundheitlicher Nutzen
Wenn Menschen das Wort Mikrobiom hören, denken sie oft zuerst an das Darmmikrobiom, was auch verständlich ist, da das Wissen darüber am weitesten verbreitet ist und wir am meisten davon hören. Es gibt etwa 40 Billionen Bakterienzellen im menschlichen Körper, wobei der Verdauungstrakt der Ort mit der höchsten Dichte an Mikroorganismen ist.2 Die Darmbakterien helfen dem Menschen bei der Verdauung der Nahrung und sind eng mit der Gesundheit des menschlichen Immunsystems verbunden. Sie können durch Umweltfaktoren und Ernährung beeinflusst werden. Nahrungsbestandteile, die von Mikroorganismen produziert werden oder auf diesen basieren, wie z. B. fermentierte Lebensmittel und Probiotika, können die Gesundheit des Darmmikrobioms potenziell unterstützen.3
Aber der Darm ist nicht der einzige Ort im menschlichen Körper, an dem Mikroorganismen zu finden sind. Der Mensch verfügt beispielsweise auch über ein vaginales, nasales, orales und ein Haut-Mikrobiom, die eine wichtige Rolle bei der Förderung der Gesundheit spielen.4 Das Gesamtgewicht der Bakterien in unserem Körper wird auf bis zu 200 Gramm geschätzt – gänzlich bestehend aus vielen winzigen Mikroorganismen.2
Ökologische Vorteile
Mikroorganismen sind ein wesentlicher Bestandteil des Ökosystems und haben einen großen Einfluss auf die Umwelt, in der wir leben. Ein besseres Verständnis des Umweltmikrobioms könnte daher der Schlüssel zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem Klimawandel sein, dessen Auswirkungen stark von den Reaktionen von Mikroorganismen abhängen.5
Mikrobiome tragen auf verschiedene Weise zur Gesundheit der globalen Ökosysteme bei. Mikroorganismen im Meer helfen zum Beispiel bei der Speicherung von Kohlenstoff und produzieren die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Im Boden wiederum unterstützen einige Mikroorganismen das Pflanzenwachstum, indem sie Nährstoffe fixieren und organisches Material zersetzen.5 Darüber hinaus können Mikroorganismen durch die Erzeugung von Biogas zur Energiegewinnung beitragen und werden auch bei der Aufbereitung von Abwässern und der Sanierung von Altlasten eingesetzt.5,6
Medizinische Anwendungen
Mikroorganismen tragen auch zur medizinischen Versorgung und zur öffentlichen Gesundheit bei. Sie werden z. B. bei der Herstellung von Arzneimitteln, wie Antibiotika und Impfstoffen, eingesetzt.6
Lebensmittelerzeugung
Innerhalb des Ernährungssystems spielen Mikroorganismen eine wichtige Rolle, wenn es um die Herstellung und Konservierung von Lebensmitteln geht, z. B. bei Joghurt, Essiggurken oder Kimchi.6 Mikrobiome sind auch in vielen Teilen des Ernährungssystems zu finden, z. B. in Nutztieren, Fischen, dem Boden und in und auf Nutzpflanzen, und haben das Potenzial, bestimmte negative Umwelteinflüsse von Lebensmittelabfällen zu reduzieren, indem sie die Kompostierung und die Wiedergewinnung von Nährstoffen fördern.4,7 Im nächsten Abschnitt beschäftigen wir uns eingehender mit der wichtigen Rolle, die Mikrobiome in unserem Ernährungssystem spielen.
3. Mikroorganismen in der Lebensmittelproduktion
Mikrobiome sind überall im Ernährungssystem vorhanden, und Mikroorganismen werden entlang der gesamten Nahrungskette eingesetzt. Man findet nützliche, aber auch weniger nützliche Mikroorganismen in allen Schritten und Bereichen der Lebensmittelproduktion:
Pflanzen und Boden
Der Boden, die Pflanzen und deren Wurzeln sind stets von einer Vielfalt von Mikroorganismen besiedelt. Besonders der Bereich um die Wurzeln, auch Rhizosphäre genannt, ist ein Hotspot der mikrobiellen Aktivität. Die Mikroorganismen in der Rhizosphäre stammen meist aus dem umgebenden Boden. Diese Mikroorganismen unterstützen die Pflanze bei der Nährstoffbeschaffung, wobei einige von ihnen auch den Stresshormonspiegel der Pflanze senken können. Allerdings können einige Bakterien, wenn sie in ausreichender Menge und unter den richtigen Umgebungsbedingungen vorhanden sind, die Pflanze auch schädigen und Krankheiten verursachen. Anbaupraktiken, die Art und Gene der Pflanze und andere Umweltfaktoren können das Pflanzenmikrobiom und seine Funktion beeinflussen. Forscher arbeiten derzeit an der Entwicklung von Beimpfungen aus Mikroorganismen (auch Probiotika für den Boden genannt), die auf dem Feld ausgebracht werden können, um das Pflanzenwachstum, die Stressresistenz und die Gesundheit der Nutzpflanzen zu fördern.8
Wasser- und Meeresumwelt
Mikroorganismen machen einen großen Teil des Lebens im Meer aus und bilden aufgrund ihrer Fähigkeit, Stickstoff und Kohlenstoff zu binden, auch die Grundlage der Nahrungskette der Ozeane.5 Photosynthetische Algen und Bakterien sind die Hauptbestandteile des marinen Phytoplanktons und damit die Hauptnahrungsquelle für Fische und andere Meerestiere.6 Einige mikroskopisch kleine Algen können jedoch toxische Verbindungen produzieren, und wenn sich Fische und Schalentiere von diesen schädlichen Algen ernähren, können sich die Toxine anreichern. Wenn Menschen diese Fische oder Schalentiere verzehren, nehmen sie die Giftstoffe ebenfalls auf. Dies kann negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben und zu Lebensmittelvergiftungen führen.10 Mikroorganismen sind im Meer in so großer Zahl und Vielfalt vorhanden, dass Wissenschaftler bisher nur einen kleinen Teil von ihnen näher bestimmen konnten.9
Tiere
Tiere haben ein eigenes Mikrobiom, z. B. in ihrem Darm oder auf ihrer Haut, das ebenso vielfältig oder sogar vielfältiger ist als das menschliche. Die Mikroorganismen helfen den Tieren bei der Aufnahme von Nährstoffen, unterstützen ihr Immunsystem und beeinflussen die Gesundheit von Nutztieren.4 Auf der anderen Seite können bestimmte Bakterien, wenn sie in ausreichender Menge vorhanden sind, krankheitserregend sein und Infektionskrankheiten in der Nutztierhaltung und in Aquakulturen verursachen. Um deren Ausbreitung zu bekämpfen bzw. zu verhindern, werden Antibiotika eingesetzt. Ein übermäßiger und unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika kann jedoch die Entwicklung von Bakterien mit antimikrobieller Resistenz beschleunigen. Dies stellt eine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar, da antimikrobiell resistente Bakterien wahrscheinlich durch den Verzehr von tierischen Lebensmittel auf den Menschen übertragen werden.11
Fermentation von Lebensmitteln
Mikroorganismen werden bei der Herstellung verschiedener Lebensmittel wie z. B. Joghurt, Käse, Sojasauce und Essiggurken verwendet. Die Fermentation von Lebensmitteln macht diese länger haltbar und wurde bereits in der Vergangenheit eingesetzt, um Lebensmittel vor dem Verderben zu bewahren. Zusätzlich kann die Fermentation auch die ernährungsphysiologische Qualität des Produkts verbessern.6 Wussten Sie, dass Mikroorganismen auch bei der Herstellung von Schokolade und Kaffee unerlässlich sind? Ohne Fermentation würden Kakao- und Kaffeebohnen nicht ihren unverwechselbaren Geschmack und ihr Aroma entfalten.
Lebensmittelabfälle
Werden Lebensmittel zu lange oder unter falschen Bedingungen gelagert, können sie anfangen zu faulen. Im Laufe der Zeit kann die Vermehrung unerwünschter Mikroorganismen zum Verderben von Lebensmitteln und anderen Problemen der Lebensmittelsicherheit, wie z. B. Lebensmittelvergiftungen, führen.12 Andererseits können Mikroorganismen bei der Verwertung unserer Lebensmittelabfälle von Nutzen sein. Durch Kompostierung tragen sie dazu bei, Nährstoffe aus Abfällen zu gewinnen, die dem Boden als Biodünger wieder zugeführt werden können.7
4. Ausblick in die Zukunft
Die Mikrobiome von Boden-, Pflanzen-, Tier- und Meeresökosystemen sind der Schlüssel zu einer gesunden Umwelt und einem Lebensmittelsystem, das uns alle mit nahrhaften, erschwinglichen, sicheren und nachhaltigen Lebensmitteln versorgt. Die Forschung und Innovation zu Mikrobiomen im Ernährungssystem schreiten ständig voran. Ein wachsendes Verständnis der Bedeutung des Mikrobioms für das Ernährungssystem wird eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von gesunder Lebensmittel für alle und der Umstellung auf ein nachhaltigeres System spielen.13 Das von der EU geförderte Projekt CIRCLES (Horizon-2020-Finanzhilfevereinbarung Nr. 818290) untersucht beispielsweise die Interaktionen und Kreisläufe des Mikrobioms in sieben Lebensmittelketten (Spinat, Tomate, Geflügel, Schwein, Atlantischer Lachs, Meerbrassen-Aquakulturen und Meeresfische), um neue und nachhaltigere Lebensmittelanwendungen und -innovationen zu entwickeln. Das Projekt geht unter anderem folgenden Fragen nach:
- Können wir Probiotika für den Boden entwickeln, um das Wachstum von Tomaten und Spinat zu verbessern?
- Beeinflusst das Mikrobiom von Wildfischen das Mikrobiom von Fischen in Aquakulturen und umgekehrt?
- Interagieren die Mikrobiome von Nutztieren (Hühnern und Schweinen) mit den Mikrobiomen von Landarbeitern?
Das Projekt wird im Jahr 2024 abgeschlossen sein, und wir hoffen, Ihnen bis dahin Antworten auf einige dieser Fragen geben zu können.
Verweise
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