Mikrobiom-Innovationen als Treiber der nachhaltigen Lebensmittelproduktion und menschlichen Gesundheit | Eufic

Mikrobiom-Innovationen als Treiber der nachhaltigen Lebensmittelproduktion und menschlichen Gesundheit

Zuletzt aktualisiert : 02 November 2022
Inhaltsverzeichnis

    Sie sind winzig, unsichtbar und doch so leistungsstark. Die Rede ist von Mikrobiomen, den Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen, die fast jede denkbare Umgebung besiedeln. Mikrobiome haben einen enormen Einfluss auf unser Leben, ohne dass wir sie die meiste Zeit überhaupt wahrnehmen. Sie spielen nicht nur eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit, sondern auch für die unserer Ökosysteme. In dem Maße, wie sich unser Wissen über diese „Mikrowelten“ vertieft, kommen immer mehr Produkte, Tools und andere Innovationen auf den Markt, die aus der Mikrobiomforschung hervorgehen. Diese Innovationen werden mit dem Versprechen uns zur Lösung einiger der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu verhelfen, in Zukunft immer wichtiger werden, von der Begrenzung der Klimaänderung über die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung bis hin zur Bekämpfung häufiger menschlicher Krankheiten.

    Wir sind von Mikrobiomen umgeben

    Vielleicht haben Sie schon einmal von Mikrobiomen gehört. Zu Gesicht bekommen wir diese mikroskopisch kleinen Organismen jedoch nie, sodass sie schnell in Vergessenheit geraten. Dies trifft, so können Sie versichert sein, auf die meisten von uns zu. Doch unser zunehmendes Verständnis des Darmmikrobioms und seiner Bedeutung für die menschliche Gesundheit haben weltweit ein wachsendes Interesse am Mikrobiom geweckt. Aber Mikrobiome finden sich nicht nur im Darm. Diese Gemeinschaften von Mikroorganismen - die Bakterien, Archaeen, einzellige Eukaryoten, Pilze und Vire1 umfassen - finden sich auch in und auf Tieren, an Land und im Meer, in Böden, Pflanzen und Gewässern. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Umgebungen, in denen sie leben, und daher entscheidend für deren Funktion und Gesundheit.

    Nutzung von Mikrobiomen für eine zirkuläre Bioökonomie

    Durch die Untersuchung von Mikrobiomen und ihren Lebensräumen (zusammen bilden sie sogenannte „Ökosysteme“) gewinnen Forscher ein besseres Verständnis der Funktionsweise dieser Ökosysteme und - was noch interessanter ist - darüber, wie mikrobielle Funktionen zu unserem Vorteil genutzt werden könnten. Wir sehen, dass immer mehr mikrobiombasierte Lösungen entwickelt werden, die uns helfen, mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten so umzugehen, dass wir Lebensmittel, Energie und andere Güter aus wenigen und meist erneuerbaren natürlichen Ressourcen, auch aus Abfallströmen, gewinnen können. Dieses Konzept, auch bezeichnet als zirkuläre „Bioökonomie“ oder „biobasierte Wirtschaft“2, ist eng mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen verbunden.3 Die Mikrobiomforschung hat wichtige Möglichkeiten für den Bioökonomie-Ansatz eröffnet. Sie bietet sehr praktische Lösungen mit einem hohen wirtschaftlichen Potenzial, die dem Wohlergehen unserer Gesellschaft dienen könnten, indem sie beispielsweise zur Nahrungsmittelsicherheit beitragen, die Gefahr der antimikrobiellen Resistenz reduzieren und unserer Gesundheit zugute kommen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Mikrobiomforschung auch die Aufmerksamkeit von Politik und Industrie auf sich zieht.

    Mikrobiom-Innovationen

    Was bedeutet es also für die Praxis, wenn wir Wissen und Potenzial des Mikrobioms ausschöpfen? Aus der Mikrobiomforschung ergeben sich zahlreiche Anwendungen, die wir oft als „Mikrobiom-Innovationen“ bezeichnen. Diese können als Produkt, eine Methodik, ein Tool oder ein Prozess vorkommen, die auf der Aktivität mikrobieller Gemeinschaften beruhen. Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Lebensmittelherstellung zeichnet sich ein zunehmender Trend zu Mikrobiom-Innovationen ab.

    Mikrobiom-Wissen zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit

    Heute wissen wir, dass das Darmmikrobiom ein wesentlicher Bestandteil unseres Körpers ist und unser Immunsystem, unseren Stoffwechsel und sogar unsere Stimmungen und Verhaltensweisen steuert.4 Durch dieses relativ neue Wissen erschließen sich völlig neue Wege für die Behandlung von Krankheiten. Innovative Mikrobiomanwendungen haben einen gigantischen Markt geschaffen, der von funktionellen Lebensmitteln (z. B. mit präbiotischen Ballaststoffen und/oder probiotischen Bakterien angereicherte Lebensmittel) über Nahrungsergänzungsmittel (z. B. probiotische Kapseln oder Pulver) bis hin zu therapeutischen Anwendungen (z. B. Darmmikrobiom-Transplantationen) reicht.5 Haben Sie schon einmal den Begriff „psychobiotisch“ gehört? Diese neue Art von Probiotika wird zur Unterstützung von Patienten mit psychischen Erkrankungen getestet, mit vielversprechenden Ergebnissen.6 In jüngster Zeit erleben fermentierte Lebensmittel (z. B. Gewürzgurken, Kefir, Joghurt, Sauerteigbrot) aufgrund ihrer möglichen gesundheitlichen Vorteile eine Renaissance.7 Ein weiterer relativ neuer Gesundheitstrend sind Testkits für die Mikrobiomanalyse. Die Käufer solcher Kits können nicht nur eine Analyse der Bakteriengemeinschaft in ihrem Darm erhalten, sondern auch individuell abgestimmte Ernährungs- und Gesundheitsempfehlungen auf der Grundlage der Testergebnisse. In Anbetracht der Tatsache, dass wir vieles über das Mikrobiom noch nicht wissen, z. B. über die Rolle bestimmter Mikrobenarten in unserem Darm, und dass die Technologie zur Analyse von Mikrobiomen noch in den Kinderschuhen steckt, sollten die Ergebnisse solcher Tests jedoch mit Vorsicht interpretiert werden.

    Außerdem können wir nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht definieren, was ein „gesundes“ Mikrobiom ist. Es ist auch immer noch unklar, ob eine solche Definition jemals möglich sein wird.8 Erst wenn wir das Darmmikrobiom von Menschen in größeren Studien über mehrere Monate oder Jahre hinweg untersuchen und beobachten, wie es sich in Abhängigkeit von Alter, Krankheit, Ernährung und anderen Faktoren des Lebensstils verändert, wird es möglich sein, spezifische Gesundheitsempfehlungen in Bezug auf das Mikrobiom zu geben. Und schließlich, vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft, werden Forscher in der Lage sein, „intelligente“ Mikroben zu entwickeln, die die gewünschten Aufgaben erfüllen wie z.B. die Bekämpfung lauernder Krankheitserreger, die Diagnose von Frühstadien von Krankheiten und die Verabreichung von Medikamenten an spezifische Regionen unseres Körpers.9 Dieser Forschungsbereich, den wir als „mikrobielles Engineering“ bezeichnen, existiert zwar bereits, muss aber noch weiterentwickelt werden, um den sicheren Einsatz dieser manipulierten Organismen zu gewährleisten. Also gedulden wir uns und seien versichert, dass die Wissenschaft ihre intensive Erforschung von „Bazillen als Heilmittel“ fortsetzen wird.

    Mikrobiombasierte Innovationen für die Gesundheit umfassen:

    Verbesserung der nachhaltigen und sicheren Lebensmittelproduktion durch Mikrobiome

    Auch in den Bereichen Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung könnten mikrobielle Innovationen unsere stillen Helden sein, die uns helfen, die Weltbevölkerung mit ausreichend und gesunden Lebensmitteln zu versorgen, und zwar auf nachhaltige Weise. Zum Beispiel:

    • Mikroorganismen werden in der Landwirtschaft bereits erfolgreich als Biodünger eingesetzt. So versorgen sie die Pflanze mit wichtigen Nährstoffen und tragen zum Gedeihen der Pflanzen und zu höheren Erträgen für die Landwirte bei. Gleichzeitig ersetzen sie umweltschädliche chemische Düngemittel, die Treibhausgase freisetzen und bei ihrer Zersetzung das Grundwasser verschmutzen.
    • In der Viehzucht und der Aquakultur ist die Zugabe von Mikroorganismen zu Tierfutter eine gängige Praxis, um die Nährstoffqualität des Futters zu verbessern. Dies sorgt für eine bessere Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere..
    • In den Lebensmittelherstellungs- und -verarbeitungsbetrieben werden neue Analysemethoden eingesetzt, um mikrobielle Gemeinschaften entlang der Produktionskette zu identifizieren. Somit können Lebensmittelhersteller die Gefahren, die von pathogenen, unerwünschten Mikroorganismen ausgehen, besser nachverfolgen und geeignete Maßnahmen im Bereich der Lebensmittelsicherheit ergreifen.
    In der Lebensmittelherstellung können mikrobiombasierte Innovationen:

    Mikrobiomforschung: Gemeinsam geht es besser!

    Einer der nächsten wichtigen Meilensteine in der Mikrobiomforschung wird die Weiterentwicklung von Analyseinstrumenten sein, die es uns ermöglichen, mikrobielle Spezies, die in spezifischen Umgebungen vorkommen, und ihre dortigen Funktionen (ihr „Aktionsraum“, wie Wissenschaftler es nennen) besser zu charakterisieren. Dieses Wissen könnte uns helfen, weitere, wirksamere und genauere Mikrobiom-Technologien zu entwickeln. Da diese Instrumente nicht ohne Computermodelle auskommen, müssen Mikrobiologen zunehmend mit Bioinformatikern und Datenwissenschaftlern zusammenarbeiten oder selbst in diesen Disziplinen ausgebildet werden. Und letztlich müssen auch diejenigen, die diese Technologien in die Praxis umsetzen - die Landwirte auf dem Feld, die Lebensmittelhersteller und Sicherheitsbeauftragten, Ärzte und Gesundheitsfachkräfte -, sich damit auskennen. Weitere zu überwindende Hürden, sind eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit, um die Erkenntnisse zu verbreiten, die Aneinandernäherung von Forschungsmethoden und die Koordinierung der Finanzierung. Außerdem müssen mikrobiomfreundliche rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Zulassungsverfahren für neue Mikrobiom-Produkte vereinfachen und einen schnellen Marktzugang ermöglichen.

    Um diese und andere Fragen anzugehen und Innovationen im Bereich des Mikrobioms voranzutreiben, wurde 2018 das EU-finanzierte Projekt MicrobiomeSupport ins Leben gerufen. Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projekts in den letzten 4 Jahren gehören:

    • Vorschlag einer aktuellen Definition des Begriffs „Mikrobiom“ (damit Mikrobiom-Experten eine gemeinsame Sprache sprechen)
    • Empfehlung von Standardverfahren in der Forschung (damit die Ergebnisse verschiedener Studien verglichen werden können)
    • Definition von Forschungslücken (damit der nächste zu finanzierender Bedarf ermittelt werden kann)
    • Darlegung des Bildungsbedarfs für Schulen, Universitäten und Fachleute (damit künftige Mikrobiom-Spezialisten mit den erforderlichen Fähigkeiten ausgestattet werden)
    • Steigerung des Bewusstseins der Öffentlichkeit und des Wissens über Mikrobiome (damit alle verstehen, wie Mikrobiome unser tägliches Leben beeinflussen, und sich über mögliche Innovationen in diesem Bereich bewusst sind)

    Obwohl das Projekt in diesem Jahr ausläuft, sieht die Zukunft der Mikrobiomforschung rosig aus. Schließlich mangelt es nicht an Bemühungen und Interesse, das Verständnis der faszinierenden Mikrowelt zu verbessern. Trotzdem bleibt für uns noch viel zu tun, und für die Mikroben auch!

    Werfen Sie einen Blick auf die Infografik „Mikrobiome im Ernährungssystem“, um mehr darüber zu erfahren, wo Mikrobiome in unserer Umgebung vorkommen.

     

    EU flagDieses Projekt erhielt von der Europäischen Union im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 eine Förderung unter der Zuwendungsvereinbarung Nr. 818116.

    Verweise

    1. Berg G, et al. (2020). Microbiome definition re-visited: old concepts and new challenges. Microbiome 8, 103.
    2. European Commission (2019). Food, bioeconomy, natural resources, agriculture and environment.
    3. Bio-based Industries Consortium (2018). Bioeconomy and the UN Sustainable Development Goals.
    4. Cresci G. A. & Bawden E. (2015). Gut Microbiome: What We Do and Don't Know. Nutrition in Clinical Practice 30(6): 734–746.
    5. Zhang Y, et al. (2022). Human Microbiome and Its Medical Applications. Frontiers in Molecular Biosciences 8: 703585.
    6. Sharma R, et al. (2021). Psychobiotics: The Next-Generation Probiotics for the Brain. Current Microbiology 78(2): 449-463.
    7. Bell V, et al. (2018). One Health, Fermented Foods, and Gut Microbiota. Foods 7(12): 195.
    8. Shanahan F, et al. (2021). The Healthy Microbiome - What Is the Definition of a Healthy Gut Microbiome? Gastroenterology 160(2): 483-494.
    9. Sonnenburg J. (2015). Microbiome Engineering. Nature 518: 10.